Ernennung zum Bürger des Ruhrgebiets 2005

Der Ehrentitel Bürger des Ruhrgebiets ist eine seit 1981 vom Verein Pro Ruhrgebiet vergebene Auszeichnung. Geehrt werden Personen, die sich mit ihrem Wirken in herausragender Weise um das Ruhrgebiet verdient gemacht haben. Die Ehrenbürger erhalten eine Urkunde sowie eine von Wolfgang Prager entworfene Stahlskulptur mit einem in Rundstahl geschmiedetem stilisierten „R“. Nachfolgende Laudatio wurde zu meiner Freude anlässlich meiner Ernennung im Jahre 2005 durch Fritz-Klaus Lange gehalten:


Fritz-Klaus Lange, Vorstandsmitglied pro Ruhrgebiet
Laudatio für Heinrich Wächter
anlässlich der Bürgerehrung am 25. Januar 2005 in Oberhausen, Ebertbad

Sehr geehrter Herr Wächter!

laudatio1Sie kümmern sich um fast alles, was Gelsenkirchen kulinarisch betrifft. Sie sind als Mitinitiator großer Benefiz-Galas bekannt, bilden am Berufskolleg Köche aus und sind in leitender Funktion in bedeutenden Vereinen und Verbänden Ihrer Zunft auf nationaler und internationaler Ebene tätig. Durch Sie hat die Ruhrgebietsküche überregionale Bedeutung erlangt. Sogar auf dem Bundespresseball war Ihre Currywurst ein Renner.

Wer hat schon vor einigen Jahrzehnten daran gedacht, das Ruhrgebiet als kulinarisches Ereignis zu betrachten? Heute ist das Ruhrgebiet eine lebenswerte Stadtlandschaft mit speziellen kulturellen und kulinarischen Attraktionen und einem hohen Freizeitwert. Die Ruhrgebietsrezepte sind ein Renner, die Kochbücher gefragt, ganz besonders die, denen Sie Ihren charakteristischen Stempel aufgedrückt haben.

Wie Sie im „Kleinen Buch vom Ruhrgebiet“ feststellen, war und ist die Region kulinarisch gesehen ein Eintopfland. Immer gleich und doch immer anders: Kartoffeln, Fleisch und Gemüse köcheln gemeinsam vor sich hin, weil man in früheren Zeiten nur eine einzige Feuerstelle hatte und deshalb auf das Kochen in einem Pott angewiesen war – eine frühe Definition von „Der Pott kocht“. Erbsen, weiße oder grüne Bohnen, Linsen, Sauerkraut, Grünkohl, Stielmus, Möhren mit Speck, Fleisch und Kartoffeln sättigten Jung und Alt.

Die Einwanderer, die zur Zeit der Industrialisierung zu Tausenden in den Zechen und Fabriken Arbeit fanden, brachten ihre eigenen Kochgewohnheiten mit. Erlaubten es die Verhältnisse, bauten sie Gemüse und Kartoffeln zur Selbstversorgung an. Die Bergmannsfamilien hielten sich Kleintiere wie Kaninchen, Ziegen, Hühner und Tauben. Fisch aus den heimischen Gewässern gab es auf den Märkten und den restlichen Bedarf deckten kleinere Geschäfte. Über raffinierte Gewürze, exotische Delikatessen und Gourmet-Rezepte verfügten allenfalls die Familien des Großbürgertums und der Zechenbarone.

Wie die Sprache, so war auch die einfache Küche des Volkes geprägt von vielfältigen Einflüssen. Dialekte und Rezepte auf den soliden Grundlagen des Westfälischen und des Rheinischen vermischten sich mit dem Oberschlesischen, und dem Polnischen zu neuen Wortschöpfungen und zu einer unverwechselbaren deftigen Ruhrgebietsküche.
Das Ruhrgebiet als permanentes Einwanderungsland erfuhr nach dem Krieg durch die zahllosen Vertriebenen aus Ostpreußen und Schlesien wiederum neue Impulse. Richtig international aber wurde es mit Beginn der 60er Jahre durch den Zuzug von Gastarbeitern aus Italien, Griechenland, Spanien, Jugoslawien, Portugal und vielen anderen Ländern

Heute finden wir in unserer Region eine hervorragende internationale Gastronomie, die wir alle schätzen. Aber auch die ursprüngliche regionale Küche hat ihre Anhänger behalten und gewinnt neue hinzu. Die Ruhrgebiets-Küche besteht nicht nur aus Pommes rot-weiß und Currywurst. Auch wenn sie echt lecker schmecken und sogar die Missfits begeistert singen:

„Die Wurst auffem Grill am Rhein-Herne-Kanal,
oder Pommes rot-weiß auffer Hand, ganz egal,
…wenn die Sonne versinkt über der A3,
is der Rest der Welt dir total einerlei“

Mal ehrlich, wer von uns kann sich diesem Zauber entziehen?

Auch Sie, sehr geehrter Herr Wächter, fühlen sich als echtes Ruhrgebietskind in Ihrer Heimat am wohlsten. Aufgewachsen im Gelsenkirchener Stadtteil Scholven, haben Sie das Ruhrgebiet in all seinen Facetten hautnah erlebt und immer geliebt. Der Wunsch, der kochenden Zunft beizutreten, entstand schon früh und nicht zuletzt durch die Erfahrungen im elterlichen Betrieb, der damals noch brav-bürgerlich „Gaststätte“ hieß. Gut erinnern Sie sich an ihre Kindertage, als man mit der Milchkanne Bier holte, Schnaps aus großen Korbflaschen in Flachmänner abfüllte und Zigaretten einzeln verkaufte.
Die Grundlagen Ihres Berufes erlernten Sie im heimischen Betrieb. Und als Sie mit 17 Jahren das Elternhaus verließen, um sich weiter auszubilden, waren sie schon geübt im Blanchieren, Pürieren, Passieren und im Umgang mit Kochmesser und Küchengeräten. Nach der Lehre folgte die Hotelfachschule in Dortmund und zunächst ein großer Sprung in den Schwarzwald. Von 1975 bis 1979 betrieben Sie einen gastronomischen Betrieb.

Eines Tages entdeckten Sie in einer Fachzeitschrift eine Anzeige, die ihr Leben in eine neue Richtung lenken sollte. Im Ruhrgebiet wurden Berufsschullehrer mit Fachausbildungen gesucht. In der Möglichkeit, das eigene Können an junge Menschen weiterzugeben und gleichzeitig wieder heimatlichen Boden unter den Füßen zu haben, sahen Sie ein erstrebenswertes Ziel. Mit der Entscheidung für den Lehrberuf und die Rückkehr nach Gelsenkirchen entbrannte auch die alte Liebe zu Schalke 04 neu. Kurze Zeit spielten Sie aktiv im Verein und verloren den Kontakt auch später nie ganz.

Schon bald nutzten Sie freie Zeit für ehrenamtliche Vereins- und Verbandstätigkeit und für soziales und gesellschaftliches Engagement. Es würde den Rahmen sprengen, würde ich all die Initiativen und Events aufzählen, die seither von Ihnen initiiert oder aktiv begleitet wurden. Hier sei nur einiges stichwortartig aufgezeigt:

• 1979 Gründung des Köche-Clubs Gelsenkirchen, dessen Vorsitzender Sie heute noch sind.

• Seit über 20 Jahren Engagement im „Landesvorstand NRW des Verbandes der Köche Deutschlands e.V.“, wo Sie ebenfalls die Funktion des Vorsitzenden wahrnehmen.

• Durchführung zahlreicher auch internationaler Events, wie zum Laurentiustag, dem Tag der Köche mit 500 teilnehmenden Köchen, oder dass Zaubern eines Westfälischen Menüs aus Anlass des 25. Jahrestages der Ständigen Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas in Straßburg.

• Ausrichtung einer Reihe von großen Benefiz-Galas, deren Erlöse kranken oder sozial schwachen Kinder zugute kamen. Auch die Hannelore-Kohl-Stiftung profitierte von Ihren Initiativen.

• Viel Zuspruch fanden, z.B. das „Spargelschälen“ oder das Kochen in und für Behindertenschulen. Sie unterstützen u. a. das Friedensdorf in Oberhausen, sowie die „Aktion Lichtblicke“, eine Zusammenarbeit zwischen Lokalradios, kirchlichen Hilfswerken und freien Wohlfahrtsverbänden, die Not leidenden Kindern und Jugendlichen schnell und unbürokratisch hilft.

Mit all diesen Aktivitäten, die sich ja immer auch um das Kochen drehten, hoben gleichzeitig die Wahrnehmung des Ruhrgebiets in kulinarischer und kultureller Hinsicht hervor.

Dafür wurden Sie 1998 dem mit Citypreis Ihrer Heimatstadt ausgezeichnet. Ein Jahr später mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

laudatio2Inzwischen haben Sie nicht nur einen überregionalen Bekanntheitsgrad erreicht, sondern sind auch in Funk-, Fernsehen, in der Presse und auf dem Büchermarkt vertreten. Viele Menschen kochen nach Ihren Rezepten und entdecken den Charme der einfachen Küche neu. Wichtig bei den Zubereitungen der Mahlzeiten sind für Sie frische Zutaten aus der Region, die modern, d.h. nach neuen ernährungsphysiologischen Erkenntnissen zubereitet werden. Die Frage nach Ihrer eigenen Lieblingsmahlzeit ist schnell beantwortet – Dicke Bohnen mit Bauchfleisch.
– Geht einem so versierten Koch schon mal etwas daneben? Da erinnern sie sich an Ihr erstes Lehrjahr, als sie ihrer Tante etwas vorkochen wollten. Verlorene Eier sollten es werden – und sie wurden es im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie hatten sich leider in der Soße aufgelöst.

Wenn Sie heute als „Bürger des Ruhrgebiets“ ausgezeichnet werden, dann gilt diese Ehrung vor allem aber Ihrem Einsatz für die Ausbildung und den Nachwuchs. Dabei haben Sie sich nie auf die lehrende Tätigkeit in der Schule beschränkt.

Sie gingen mit Auszubildenden auf nationale und später auch auf internationale Wettbewerbe. Immer war es dabei Ihr Anliegen, auch Ihre Heimatstadt Gelsenkirchen und das Ruhrgebiet angemessen vertreten zu wissen. Sie trainierten Köche und solche, die es werden wollten und führten Sie im In- und Ausland zu beachtlichen Erfolgen. Nicht zuletzt durch diese Aktivitäten wurde das bis dahin kulinarisch kaum wahrgenommene Ruhrgebiet bekannt für eine gute Gastronomie.
Sie zeichnen sich für den Rudolf-Achenbach-Preis verantwortlich, einen traditionellen bundesweiten Wettbewerb für auszubildende Köche im dritten Ausbildungsjahr.

Die Ideen gehen Ihnen auch für die Zukunft nicht aus. Es sind immer wieder vor allem die Kinder und Jugendlichen, denen Ihr besonderes Augenmerk gilt.

Zurzeit arbeiten Sie an einem Kochbuch für Vorschulkinder, das ohne Text auskommt und nur mit Bildfolgen gestaltet wird. Dabei sind besonders die Sicherheitsanweisungen im Umgang mit dem heimischen Herd zu beachten.

Und ein neues Spektakel ist ebenfalls in Planung: 1000 Kinder werden synchron auf dem Gelsenkirchener Marktplatz für eine Eintragung ins Guinness-Buch der Rekorde kochen. Wir dürfen gespannt sein.

Kochen ist auch heute noch Ihre Leidenschaft, und der Lehrberuf macht Ihnen nach wie vor Freude. Von Ihren Schülern haben es viele weit gebracht und zu manchen besteht auch nach Jahren noch eine persönlich enge Verbindung. Sie können berechtigt stolz auf diejenigen sein, die sich unter Ihrer Anleitung zu hervorragenden Köchen entwickelt haben.

„Heinrich Wächter ist ein starkes Stück Ruhrgebiet, ein Urgestein Gelsenkirchens“. So ist es im Vorwort zum Buch „Kochen im Revier“ zu lesen, und das ist durchaus wahr. Unermüdlich setzen Sie Ihre Ideen um, die sowohl den Menschen, als auch der Region zugute kommen. Die Pflege der zahlreichen in- und ausländischen Kontakte dient ebenfalls vor allem dem Ziel, das Bild des Ruhrgebiets im positiven Sinne zurechtzurücken.

Die Menschen hier mussten immer kämpfen, sie sind von einfacher, direkter Offenheit, selbstbewusst und tolerant gegenüber anderen Kulturen. Sie, sehr geehrter Herr Wächter, verkörpern selbst am besten das Bild von einem waschechten Ruhrgebietsmenschen und werden nach eigenen Aussagen als solcher im Ausland stets mit offener Herzlichkeit empfangen.

Mit all Ihren Eigenschaften und Fähigkeiten sind Sie nicht nur ein echter Botschafter, sondern auch ein wahrer „Bürger des Ruhrgebiets“. Herzlichen Glückwunsch!